1850
Bevölkerung
Die Bevölkerung des Neuwieder Beckens bestand überwiegend aus Ackerbauern oder einfachen Handwerkern. Die Hungerjahre nach den Missernten von 1846/47 und 1853-1855 stürzten viele in die Armut. Die Mehrheit der Bevölkerung lebte in einfachen Lehmfachwerk-Häusern mit Schiefer-, Ziegel- oder Strohdächern.
Bims als Baustoff?
Schon die Römer versuchten, den Bims als Baustoff zu nutzen. Der erste Baustein aus Bims war der im 18. Jahrhundert gewonnene sogenannte Engerser Sandstein. Zudem wurde ein künstlicher Stein aus Bimslehmgemisch hergestellt. Beide Bausteine wurden hauptsächlich zur Vermauerung in Fachwerk verwendet.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man begonnen, Kalk für die industrielle Nutzung abzubauen. Dieser diente in erster Linie als Düngemittel in der Landwirtschaft. 1845 verwendete der preußische Bauinspektor Ferdinand Nebel (1782-1860) angeblich den Kalk als Bindemittel für einen aus Bims hergestellten Baustein und soll diesen Baustoff, genannt "Schwemmstein", auch zum Patent angemeldet haben.
Frühe Schwemmsteinherstellung
Die ersten Versuche zur Herstellung von Schwemmsteinen aus Bims und gelöschtem Kalk wurden unter einfachen Umständen im Raum Urmitz / Weißenthurm angestellt, wozu hölzerne Formen benutzt wurden, in die man von Hand das Bims-Kalkgemisch füllte. Zuerst wurden die anfangs noch "Bimssandsteine" genannten Baustoffe zur Ausmauerung von Fachwerk oder für Zwischenwände benutzt. Angesichts der beengten Wohnverhältnisse bot der Bims jedoch schon bald einen geeigneten Baustoff zum Ausbau von Wohnraum.
1870
Beginnende Industrialisierung
Die Nutzbarmachung der Dampfkraft, vor allem die dampfgetriebene Eisenbahn veränderte die Welt und löste eine Transportrevolution aus. Die Bevölkerung im Neuwieder Becken wuchs, wuchs, auch infolge von Zuwanderung aus den ärmeren Nachbarregionen, deren Familienväter zunächst vornehmlich auf den Hütten der Eisen- und Stahlindustrie Arbeit fanden.
Die Schwemmsteinproduktion
Die gewerbliche Produktion von Schwemmsteinen sowie von Kaminsteinen kam auf Touren. Das Format der Schwemmsteine wurde dem für Staatsbauten vorgeschriebenen Maß von Ziegelsteinen auf 10x12x25 Zentimeter angepasst. Noch heute kann man Hausfassaden sehen, die aus diesen kleinen Vierzoll-Schwemmsteinen erbaut wurden. 1875 waren in der Schwemmsteinproduktion bereits 1.000 Arbeiter beschäftigt. Die Fabriken befanden sich außerhalb der Ortschaften auf den Feldern, wo es Bims gab. In großen Pfannen wurde der Kalk mit Wasser vermischt und kräftig durchgerührt. War diese Kalkmilch verarbeitungsbereit, wurde sie mit Bims zu "Speis" gemischt und in die Kasten der fahrbaren Klopftische gefüllt. Anschließend wurde sie mit der Schaufel in eiserne Formen gefüllt. Mit einer Kelle, "Plötsch" genannt, wurde dann das Bimskalkgemisch in der Form festgeklopft. Darunter befand sich ein kleines Holzbrettchen. Die Form wurde anschließend entfernt und der frische Stein zusammen mit dem Holzbrettchen auf einem Gestell zum Härten abgestellt. Tausend Steine entsprachen der durchschnittlichen Tagesproduktion. Die frischen Steine wurden direkt auf den langen Trockengestellen gelagert. Nach einigen Tagen konnten die frischen Steine "gekantet" werden; dazu wurden die Holzbrettchen entfernt und die Steine hochkant ins Gestell gelegt. Nach weiteren drei bis acht Tagen konnten die Steine "gearkt" werden. Auf diesen Arken (aus der Trassindustrie übernommen) lagerten die Steine weitere drei bis sechs Monate zum Aushärten. Dann waren sie versandfertig und konnten als Baumaterial verwendet werden.
Transport
Die versandfertigen Steine wurden mit Pferdewagen abtransportiert, auf die etwa tausend Vierzollsteine passten. Erst das Aufkommen der Eisenbahn mit ihrem großflächigen Verkehrsnetz schuf die Voraussetzung für ihre Verbreitung. Die meisten Orte des Neuwieder Beckens, in denen Schwemmsteine hergestellt wurden, waren mit Bahnanschluss versehen. Seit der Einrichtung der linksrheinischen Strecke mit dem Bahnhof Weißenthurm 1858, der rechtsrheinischen Bahnstrecke Neuwied - Lahnstein mit den Bahnhöfen Neuwied, Engers und Bendorf 1869 und der Strecke Neuwied - Köln 1870 wurden sowohl die Steine als auch der Kalk überwiegend mit der Bahn transportiert. 1870 wurde auch der Bahnhof Urmitz eröffnet, der zu einem wichtigen Umschlagplatz für Schwemmsteine wurde. Hauptabsatzgebiete für die Schwemmsteine waren die Rheinprovinz und Westfalen, vor allem aber das Ruhrgebiet.
1907 - 1913
Das Rheinische Schwemmsteinsyndikat
Die manuelle Schwemmsteinproduktion war auf ihrem Höhepunkt angekommen. Der harte Preiskampf bei den Vierzoll-Schwemmsteinen führte 1907 zur Gründung des Rheinischen Schwemmsteinsyndikats in Neuwied, in dem sich die 78 größten Betriebe mit einer Gesamtproduktion von 280 Millionen Schwemmsteinen im Jahr (verglichen mit der Tagesleistung von 1000 Schwemmsteinen, die ein einzelner Arbeiter damals von Hand fertigte, eine gewaltige Menge) zu einer Gesellschaft zusammenschlossen.
Bimszementdielen
Dem Vierzoll-Schwemmstein war mit der Bimszementdiele und der Stegzementdiele eine Konkurrenz als Mauerstein erwachsen, was durch die Einführung des Zements ermöglicht wurde. Die Steine erhielten eine höhere Festigkeit und die Abbindezeit verkürzte sich erheblich. Die Absatzmärkte führten auf dem Seeweg bis nach England und Schweden.
Architektur
Die enorme Steigerung des Absatzes von Schwemmsteinen stand in direktem Zusammenhang mit dem in jener Zeit aufkommenden Siedlungs- und Koloniebau. In vielen Städten entstanden Wohnbaugenossenschaften, die in großem Stil ganze Stadtteile auf der grünen Wiese errichteten. Typisch für diese Gartenstadtarchitektur waren Ein- und Zweifamilienhäuser mit den dazugehörigen Gärten. Einige dieser Siedlungen entstanden im Ruhrgebiet, darunter die Gartenstadt Margarethenhöhe oder die Koloniebauten der Firma Stinnes in Essen. Auch die inzwischen unter Denkmalschutz stehende Sonnen- und Mondlandsiedlung.
1925 - 1932
Weltwirtschaftskrise
Nach den Kriegsjahren und der schwierigen Zeit von Besatzung, Ruhrkampf und Inflation blühte die Wirtschaft 1925 für wenige Jahre wieder auf.
Die Mechanisierung der Bimsproduktion
Die Weltwirtschaftskrise erfasste die Bimsindustrie während einer Phase des Aufschwungs und technischen Fortschrittes. In allen Produktionsbereichen wurde die bisher manuell betriebene gewerbliche Schwemmsteinherstellung von der industriellen Produktion abgelöst. Überall kamen Maschinen zum Einsatz und machten die mühsame Handarbeit überflüssig. Nach und nach war der Kalk als Bindemittel verschwunden und mit ihm die langen Trockengestelle. Stattdessen wurde immer häufiger Zement als Bindemittel eingesetzt. Wegen seines hohen Preises wurde er anfangs nicht für die Massenproduktion eingesetzt, sondern vor allem für Bims-Zement-Dielen.
Die von der Prüf- und Versuchsanstalt in Neuwied angestellte Bindemittelforschung hatte eigens für die Bimsindustrie ein geeignetes Bindemittel entwickelt: den Eibi-Zement. Der Eibi erforderte eine kürzere Abbindezeit. Das neue Bindemittel verlangte eine sorgfältige und gleichmäßige Mischung, die fortan nicht mehr von Hand, sondern von einer Mischmaschine übernommen wurde.
Der 1912 erstmals eingesetzte Handschlagmaschine ( inzwischen überall verbreitet) folgten die elektrischen Vollautomaten, Universalstampfmaschinen. Dies geschah hydraulisch durch Vibrationsmaschinen, die sogenannten „Rüttler“. Mit einer solchen Maschine der Firma Ningelgen konnte ein Arbeiter in der Stunde 800 Vierzoll-Steine oder 100 Dielen anfertigen. Auch das Abtragen der Steine konnte nunmehr maschinell durch Seilbahnen erfolgen.
Zudem wurde die Produktpalette erweitert: Neben den Vierzoll-Vollsteinen wurden nun auch Bimszementdielen hergestellt sowie Hohlblöcke, Kassettenplatten und Stegkassettenplatten. Die vom Verein zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen der Rheinischen Bimsindustrie in die Wege geleitete Normierung des Zement-Schwemmsteins wurde 1931 abgeschlossen und mit der DIN 1059 versehen.
Der Bimsabbau wurde ebenfalls mechanisiert. 1932 erwarben die Firmen Raab und Remy den ersten Eimerkettenbagger. Bei einer Leistung von Tausend Kubikmeter Rohbims pro Tag verringerte sich die Zahl der benötigten Arbeitskräfte für das Abdecken, das Bimssandschöpfen und das Einplanieren von 100 auf 50 Arbeiter. Den Abtransport von Rohbims zur Fabrik ermöglichten Feldbahnen, die von den größten Betrieben wie Remy, Raab, Gies, Dahm und Heimbachwerke betrieben wurden.
Verbandsgeschichte
Inmitten der Wirtschaftskrise wurde im April 1931 der Verband Rheinischer Bimsbaustoffwerke e. V., kurz Bimsverband genannt, gegründet und die Materialprüfungs- und Versuchsanstalt MPVA käuflich erworben.